Helle Aufregung in Purkersdorf. Eine Gruppe von Forschern aus den USA planen im Rahmen einer Studie (Niederösterreich als Beispiel alternativer Kulturen im Ostösterreichischen Raum) eine Exkursion in die besondere Stadt in Wienerwald. Schon Tage vor dem Besuch versucht sich die Stadtgemeinde unter Führung des Bürgermeisters von seiner besten Seite zu zeigen. Die Tonnen von im öffentlichen Raum herumliegenden Plastikflaschen, Getränkedosen und achtsam im Wald entsorgten Kühlschränken und Autobatterien werden in einer gemeinsamen Flur-Reinigungs-Aktion fachgerecht in den Wienfluss gekippt. „Sodala, Flaschenpost zur MA48 unterwegs.“ sagt ein Gemeindevertreter mit Warnweste zufrieden, als er auch den letzten Liter Altöl in den Fluss kippt. Danach zieht er sich eine Zigarette in einem Zug in die Lungen und schnippst den glühenden Stummel in das Gesicht eines vorbeifahrenden Fahrradfahrers.

Beschwerliche Anreise

Alles wie geplant, der große Tag kann kommen. Doch der erste Schock für die beiden Bürgermeister Steinbichler und Kirnberger im Rathaus kommt schon in der Früh, als die Forscher ankündigen, um 8 Uhr am Bahnhof Unter Purkersdorf auf den Empfang zu warten. „Scheisse, welcher Bahnhof? Wo ist der überhaupt? Wieso können diese Amerikanischen Schnöseln ned einfach mit dem SUV direkt auf den Hauptplatz kommen, so wie jeder normale Mensch auch?“ schnaubt der Bürgermeister, während er unauffällig einen 500 Seiten dicken Stapel Unterschriften einer BürgerInnen-Bewegung in den Papierkorb wandern lässt. „Kirni, pack die Wanderschuhe und Proviant ein, wir müssen zum Bahnhof.“ Kirnberger, der es sich auf einem Bürostuhl gemütlich gemacht hat und sein eigenes Ebenbild im neuen Amtsblatt bewundert, grinst nur und nickt heftig mit dem Kopf.

Nur wenige hundert Meter und wenige Stunden später kommen die beiden vollkommen verschwitzt und außer Atem am Bahnhof Unter Purkersdorf an. „Sodala, glei samma da, nur noch über die wunderschöne neue Betonbrücke, 249 Stufen rauf, 221 Stufen runter und wieder 460 Stufen rauf und schon sind wir da.“ Schon von Weiten sehen sie die 10-köpfige Forschergruppe verstört am Bahnhof stehen, umringt von einer Menschentraube von Immobilienmaklern, die wie wild mit vorgefertigten Mietverträgen in den Händen wedeln. Die Schmuckstücke sind unter anderem eine 3-Zimmer-Wohnung mit Blick auf die vierspurige Wiener Straße, 1700 € Miete kalt und ein 560.000 € Einfamilienhaus (Stil: Beton-Schuhschachtel inkl. fünf Parkplätze und urigem Schweden-Ofen und günstige Infrastruktur dank Sicht auf die Westautobahn).

Willkommen in der besonderen Stadt im Wienerwald

„Hello und Friendship and herzlich Welcome in the besonderen City in the whole Wienerwald“ fällt es Steinbichler aus den Lippen als er die Forscher mit einem viel zu kräftigen Händedruck begrüßt und einem Mann dabei die Hand bricht. „I am the Mayor and this is mein Sidekick, ähm, I mean my Stellvertreter, if all Stricke reißen and Wickerl Weinzinger is also not verfügbar, Gott behüte.“ Kirnberger nickt nur und grinst in viele leere Gesichter.

Am Weg im Gänsemarsch auf einem 40 Zentimeter breitem Gehsteig ins Stadtzentrum versucht der Bürgermeister bemüht, einen kurzen Vortrag zur Geschichte der Stadtgemeinde zu geben. Die Forscher hören höflich zu, können aber in Anbetracht des ohrenbetäubenden Verkehrslärms an der „besonderen Straße im Wienerwald“ (Wiener Straße) kein Wort verstehen. Einzig ein paar Wortfetzen („our dear Karl Schlögl … our dear Gernot Rudle … our dear Freibad“) dringen aus dem Getose in die Ohren der Gäste. Einer der Forscher bleibt plötzlich stehen, als er im Garten eine seltene Pflanze entdeckt. Aber kurz bevor er sie fotografieren kann, heult schon der Benzinrasenmäher des Purkersdorfer Gartenbesitzers auf und vernichtet innerhalb kurzer Zeit alles Lebendige im Garten. „Richtig so, weg mit dem Unkraut“ entfährt es einem zufällig vorbeigehenden Passanten, der sich gerade mit einem 5 Liter Fass Agent Orange auf den Weg in seinen geliebten Schrebergarten macht. „Where was I?“ unterbricht Steinbichler die beklemmende Stille und fährt fort: „Aja, we are Natur im Garten-Gemeinde“, während er auf einige Gärten zeigt, die seelenlosen Golfplätzen verdächtig ähnlich sehen. Kirnberger grinst zufrieden.

Hochrangiger Empfang

Am Hauptplatz angekommen sollen die Gäste mit einer musikalischen Blasmusik-Einlage der Freiwilligen Feuerwehr begrüßt werden. Aus der opulenten Marschmusik wird aber leider nur ein trauriges Trompeten-Solo, nachdem 19 der 20 anwesenden Musikanten bereits sturzbetrunken in ihren Klappstühlen eingeschlafen sind. Vizebürgermeister und Ehren-Dirigent der Kapelle, Viktor „Wickerl“ Weinziger, steht dennoch mit von Stolz geschwellter Brust und hochrotem Kopf vor seinen Kammeraden und schwingt den Taktstock wild durch die Luft. „Jaja, dirigieren kann er gut…“ flüstert Steinbichler leise und lächelt verkrampft. Kurz herrscht Aufregung, als einer der Forscher meint, eine echte archäologische Sensation entdeckt zu haben. Aber der vermeintlich „mumifizierte Körper eines prähistorischen Menschen“ stellt sich schon nach wenigen Augenblicken als der eines lebendigen Stammgasts des Stehbeisl heraus. Jahrzehntelanger Nikotin-Konsum, tägliches, stundenlanges in der Sonne sitzen und Hektoliter Aperol Spritz haben die Haut des Gastes verdächtig ähnlich gegerbt, wie die eines ägyptischen Pharaos.

Auch alle Gemeinderäte der SPÖ haben die lange und beschwerliche Reise mit dem Auto vom Rathaus Richtung Hauptplatz angetreten und sich am Hauptplatz eingefunden, um dem Besuch ihre Ehre zu erweisen. Höflich ziehen sie alle zur Begrüßung ihre Polizei-Mützen und Baustellen-Helme und überreichen den Forschern das Ehrenabzeichen der Stadtgemeinde, den „goldenen Betonmischer“.

Gefährlicher Einsatz

Doch die Idylle wird jäh unterbrochen, da vier Gemeinderäte zu einem Polizeieinsatz gerufen werden. Stadtrat Josef Baum ist auf einen Baum geklettert und droht, den selbigen in Ermangelung an politischen Wegbegleitern, unter sich selbst abzusägen. Die Versuche der Polizei, ein aufblasbares Kissen unter dem Baum aufzublasen, um den Fall zu bremsen, werden durch eine anwesende Passantin und Hundebesitzerin (Name der Redaktion bekannt) gestört. Wie wild geworden sticht sie auf das Luftkissen ein und lacht laut dabei. Kirnberger betrachten sich indessen selbst im Rückspiegel eines stehenden PKWs und grinst.

Führung durch das Rathaus

Als der Bürgermeister seinen Vortag über die Vorzüge der Stadt (die besondere im Wienerwald) fortsetzen will, braust ein Güterzug mitten durchs Ortsbild. Nach nur 15 Minuten hochfrequentem Gequietsche und Gepolter holt Steinbichler erneut zur Rede aus, da donnert eine Boing 747 in wenigen hundert Metern Höhe im Landeanflug auf Wien über die Köpfe der Anwesenden. Steinbichler gibt auf und wechselt ins Rathaus.
„This is where the Shit happens, ähm, the Magic Happens“ sagt Steinbichler und zeigt auf den Stadtsaal, in dem noch einen Tag zuvor eine Gemeinderatssitzung stattgefunden hat. Interessiert machen die Forscher Skizzen und Fotos von den Gemeinderäten und Gemeinderätinnen von den Grünen und NEOS, die im leeren Saal nach wie vor kreidebleich und wie versteinert auf ihren Sitzen verharren und versuchen, das gestern Geschehene zu mental verarbeiten. Aber nach wenigen Minuten erheben sich die Grünen von ihren Stühlen, verstauen ihre Trommeln und Traumfänger in den mitgebrachten Jute-Säcken und machen sich auf die beschwerliche Heimreise in ihre Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Die GemeinderätInnen der NEOS haben inzwischen ihre Köpfe zusammengesteckt und tüfteln an der nächsten Powerpoint Präsentation zum Themenschwerpunkt „Freier (Bauern)Markt und Startup-Spirit für unsere Standler“. Die Folien bleiben leer und so machen auch sie sich auf den Weg nach Hause. Dieser führt sie über eine unsichtbare Brücke von der Wintergasse über den Wienfluss, die nur sie sehen können. Nur der einzige FPÖ-Gemeinderat der Gemeinde bleibt alleine im Saal sitzend zurück und kniffelt weiter an seinem Kreuzworträtsel.

Steinbichler setzt seine Führung durchs Rathaus indessen unverdrossen fort. Stolz führt er die Gruppe in ein Abstellkammer, in dem zwei alte Faxgeräte auf Hochtouren Zetteln ausspucken. „All electric, all automatic, welcome to 2022“ sagt er während er mit Federkiel und Tinte einen Gemeinderatsbeschluss unterzeichnet und die Schriftrolle dann einem vermeintlichen Boten in die Hand drückt. Dieser schaut nur verdutzt, bleibt aber geduldig in der kilometerlangen Menschenschlange stehen, die von der Stadtgrenze ins Rathaus reicht und hofft doch noch, heuer seine Aviso Tarifkarte für das Freibad zu ergattern.

Wehmütiger Abschied

Je später der Tag, desto ungeduldiger wirken der Bürgermeister und sein Vize-Vize. „So ihr Obergscheiten, now we have to say Good Bye, weil we must noch zu zu einem Pressetermin mit der NÖN, irgendwas in die Kamera halten“. Kirnberger nickt und grinst. Am Weg zum Bahnhof kommt die Gruppe noch an drei rostigen Fahrrädern und einer alte Luftpumpe vorbei. Darüber prangt ein Schild mit „E-Bike Kompetenzregion“. Als die nächste S-Bahn nach einer kurzen Wartezeit von 2 Stunden und 40 Minuten im Bahnhof Purkersdorf einfährt, lassen die Forscher noch einen letzen Blick über die Umgebung schweifen. Von allen Seiten ertönt das Crescendo von hunderten Rasenmähern, am Horizont ragen dutzende Kohlegriller-Rauchwolken in den Himmel und die Luft riecht nach verbranntem Laub und Autoreifen. Müde und deutlich gezeichnet von der Exkursion besteigt die Gruppe dann endlich doch noch die S-Bahn, um wegen eines technischen Gebrechens nur eine Station später wieder aussteigen zu müssen. Eine einzelne Haselnuss, die am Gleiskörper liegt, macht eine Weiterfahrt leider unmöglich. Zurück in den USA besuchen sie zur Erholung eine saubere und verkehrsberuhigte Stadt. In New York versuchen sie, ihre Eindrücke zu verarbeiten und sehen sich wissend an. „Yes, very besonders indeed“, sagt einer von ihnen und genießt die vergleichsweise stille und saubere Mega-Metropole.

Foto Credits: www.purkersdorf.at, piqsels.com, purkersdorf.online

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