Lange Zeit mussten die braven Bürger und Bürgerinnen von Purkersdorf damit leben, dass es in ihrem Wohnort kein Gebäck gibt. Es gab einfach keines. Wollte der Purkersdorfer frisches Gebäck haben, musste er entweder den beschwerlichen Weg nach Wien antreten oder sich mit einem Teigwaren-Subsititut aus einem der dutzenden Supermaktketten zufrieden geben. Diese sind zwar teuer, aber dafür nach gefühlten zehn Minuten außerhalb des Backwaren-Sackerls zu Stein geworden und daher nur noch als Entenfutter zu gebrauchen.
Was für andere Städte und Gemeinden also die Errichtung eines Ärztezentrums, einer Park&Ride-Anlage oder einer Elektro-Ladestation für E-Autos ist, war für Purkersdorf die Ankündigung, es werde eine Bäckerei im Zentrum eröffnet. Wie nervöse Kinder sehe ich also schon Monate vor der Eröffnung Interessierte um die Baustelle herumschwänzeln. Die Aussicht auf frischen (!!!) Kaffee, Backwaren und Mehlspeisen war für viele nach Jahren der Entbehrung so weit entfernt gewesen, dass sie in ihrer Lebzeit nie damit gerechnet hätten. Am Tag der Eröffnung also beobachte ich viele Menschen, die wie nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 mit Tränen in den Augen stehen und sich in den Armen liegen. Nach der inoffiziellen Eröffnung der Filiale, der nur die die obersten 100 Purkersdorfer, darunter Bürgermeister (alle drei), Alt-Bürgermeister (einer) sowie Szene-Wirten, Stadträte und andere Männer in Feuerwehr- oder Trachten-Uniformen beiwohnen durften, war die Türen dann auch einen Tag später für das gewöhnliche Fußvolk geöffnet.
Seitdem beobachte ich regelmäßig Männer und Frauen mit GORE-TEX-Multifunktionsjacken und rinnenden Nasen dabei, wie sie daran scheitern, sich, wie in westlichen Zivilisationen sonst durchaus üblich, hintereinander anstellen, um ihre Bestellungen aufzugeben. Kreuz und quer stehen sie dann links und rechts vor der Glasvitrine, zeigen wie wild auf Erdbeerschnitten, Topfenbällchen oder Pizza-Stangerl um kurz darauf die 17,28€ mit ihren 100€-Scheinen zu bezahlen. Nachdem die Hälfte des Retourgeldes dann entweder durch die Schlitze in der Vitrine und damit auf die Topfengolatschen oder Fitness-Weckerl, oder auf den klebrigen Fußboden fallen, müssen sie sich an den hinter ihnen wartenden, genervten und von Leberkäse aufgequollenen Gesichtern ihren Weg ins Freie drängeln. Auf halbem Wege kommen die meisten dann drauf, dass sie vergessen haben, sich ihren Sammelpass-Sticker abzuholen, den sie zehn Minuten später dann ohnehin in den Unweiten ihrer überdimensionierten Geldtaschen verloren hätten.
Diejenigen, die es sich in der Bäckerei auf einem der Tische und Sessel gemütlich gemacht haben, beobachten ihre Umgebung mit Argusaugen. Sie sind genervt, wenn Kinder die Bäckerei betreten und Kinder sind, sie sind genervt, wenn es zu laut ist, sie sind genervt, wenn es jemand wagt, sich auf einen Nebentisch zu setzen, sie sind genervt, wenn der Kellner eine Bestellung vergisst, wenn die Nusschnecke zu süß ist oder wenn sie zu wenig süß ist. Dass sie genervt sind, lassen sie jeden um sich herum spüren. Ich sehe oft sich gegenübersitzende Paare, jung und alt, wie sich sich gegenseitig nerven.
Verwirrt und ratlos bleibe ich jedes mal nach meinen Beobachtungen zurück, während ich an meinem harten Salzstangerl knabbere, dass ich mir vor wenigen Minuten gekauft habe und bald den Enten verfüttern werde. Die Purkersdorfer, so denke ich mir, zahlen einen hohen Preis für ihr Gebäck, das muss es einem schon wirklich wert sein. Aber die Leute aus der DDR waren ja nach der Wende auch mit wenig zufrieden, zumindest für eine kurze Zeit.