Es ist Ende März und ich beschließe, mich an diesem sonnigen Freitagnachmittag in eines der zwei am Hauptplatz befindlichen Gastronomiebetriebe zu setzen. Wobei, genau genommen setze ich mich nicht in eines der Lokale, sondern auf einen der Stühle vor dem Lokal, in dem man tagtäglich bereits ab 8:30 die ersten Purkersdorfer bei ihrem dritten Glas Rotwein sitzen sieht. Apropos sitzen, einen sitzen haben auch schon die anwesenden Gäste, die in kleinen bis mittelgroßen Gruppen an Tischen hocken und an diesem lauen Nachmittag, es ist nebenbei auch Bauernmarkt, ihre kalten Alkoholika genießen. Unwillkürlich fällt mein erster Blick gleich auf eine illustre Runde von etwa vier Frauen und zwei Männern. Der eine Mann, ein schon etwas älterer, scheinbar gesundheitlich ziemlich angeschlagener Mann mit ebenso grauem Schnurrbart wie Hautfarbe sitzt neben einem End-50er mit fliehender Stirn, Pferdeschwanz und dichten Augenbrauen. Erst nach wenigen Momenten fällt mir ein, an wen mich dieser gesprächige Herr, nennen wir ihn Werner, erinnert. Nämlich an das Purkersdofer Urgestein und laut Meinung von Rudi Dolezal damaligen besten Freund von Freddie Mercury, Rudi Dolezal. Kalt läuft es mir den Rücken hinunter, keine Ahnung warum.

Egal, dieser Werner eben redet in einem Schwall auf den älteren Herren neben ihn ein, dessen Haltung von Minute zu Minute geduckter wirkt. Die ersten aufgeschnappten Wortfetzen „WHO“, „Wuhan“, „Banken“ und „infisziert“ (sic!) lassen keinen Zweifel. Hier sitzt der österreichische Prototyp Marke „ehemals linker 68er, nun Frühpensionist mit zu viel Freizeit, Schwurbler mit Facebook-Sucht“, für den die COVID19-Pandemie der letzten Jahre der letzte Tropfen war, der den seelischen Trankübel desselben zum Überlaufen gebracht hat. Nun ergießt sich die geistige Gülle über jeden seiner Gesprächspartner, wie geschmolzener Käse über ein Raclette-Brot. Wie in Rage plappert er auf den Mann neben ihm ein. Sein Gegenüber macht nicht einmal den Versuch, an dem Gespräch aktiv teilzunehmen, sondern nimmt nur ab und zu einen Schluck vom weißen G’spritzten. 

Apropos G’spritzte, auch die Damen am Tisch befinden sich ihrerseits in einer Art Konversation, zumindest lässt das laute Gackern, das diese alle fünf Sekunden aus ihren rot angemalten Mündern ausstoßen, darauf hindeuten. Zurück zu unserem Werner. Dieser redet sich weiter um Kopf und Kragen, jagt vom Thema „Corona“ über „Banken“ zum Thema „Annalena Baerbock“. Warum, das weiß vermutlich nur er, oder auch nicht. Unterbrochen wird seine verbale Diarrhöe nur durch den heftigen Hustenkrampf seines älteren Gegenübers. Ein leichtes Hüsteln geht innerhalb weniger Sekunden eine Art Erstickungshusten über. An der grauen Hautfarbe des älteren Mannes ändert dies zu meiner Verwunderung allerdings nichts. Zuerst scheinen die Begleiter das Husten nicht wahr zu nehmen, als der Mann sich aber immer weiter in seinem Hustenkrampf ergeht, dringt so etwas wie erste Nervosität an die Oberfläche. Ich, der ich mich bereits nach wenigen Sekunden von meinem Sessel erhoben habe und mich geistig bereits darauf vorbereite, meine Lippen jeden Moment an die des grauen Mannes zu kleben, um mit einer Herz-Lungen-Reanimation loszulegen, sehe zu, wie eine Frau am Tisch dem vom Husten geplagten Mann sachte auf den Rücken zu klopfen beginnt. Als dies offenbar nichts bringt, setzt sie sich genervt wieder zu ihrem Getränk und schnarrt nur ein „Jetzt reiß dich zam!“ aus ihrer rauen Kehle. Auch Minuten später sitzt der Hustende noch schielend mit nassem Taschentuch vor dem eigenen Mund zusammengeknickt im Sessel und versucht verzweifelt, den Schleim aus der Luftröhre zu befördern.

Lange Rede, gar kein Sinn: Der graue Mann überlebt und so wie er den ersten Atemzug der rauchigen Luft in seine Lungen strömen lassen kann, redet unser Werner mit gleichem Tempo weiter auf ihn ein. Nach zwei Gläsern Bier und mit sausenden Ohren verlasse ich die Szene und denke noch lange darüber nach, dass der langsame Erstickungstod, Corona hin oder her, vielleicht nicht das Schlimmste der Welt sein muss.

Diese Geschichte ist eine von vielen, die irgendwann 2024 als Buchprojekt unter dem Arbeitstitel „Purkersdorfer Impressionen“ von Purkersdorf Online erscheinen könnten. Falls dir die Kurzgeschichte gefallen hat und du mehr davon lesen möchtest, würde ich mich über ein ehrliches Feedback in den Kommentaren oder auf kontakt@purkersdorf.online freuen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert